Die Stimme Kroatiens

21:53 / 20.08.2025.

Autor: Natali Tabak Gregorić

Sind die Kroaten ein Neo-Ustascha-Volk?

Martinskirche, Sv. Lovreč, Istrien
Martinskirche, Sv. Lovreč, Istrien
Foto: Natali Tabak Gregorić / -

Über Kroatien wird schon traditionell seit Jahren aus einer bestimmten Medien-Ecke berichtet, die man vernünftigerweise als anti-kroatisch oder gar kroatophob bezeichnen könnte. Jüngst waren wir dessen wieder Zeugen.

Das Großkonzert des kroatischen Sängers Marko Perković Thompson war, wenn man die große Anzahl von Besuchern und die unglaubliche Organisation außen vor lässt, nichts besonderes und verdient daher eigentlich kein größeres Medieninteresse.



Seit langem sind nämlich ähnliche Unterhaltungsphänomene weltweit zu beobachten. Wenn man das Musikevent in diesem Kontext betrachtet, ist es offensichtlich, dass einzelne Gruppen in diesem Zusammenhang nur partikuläre Phänomene hervorheben und ihnen mehr Geltung zukommen lassen, als sie verdienen.


 

Über eine 'Faschisierung der Gesellschaft' oder 'Neo-Ustaschas' in Verbindung mit dem Auftritt Thompsons zu sprechen, ist, gelinde gesagt, übertrieben. Diejenigen, die darauf bestehen, haben offensichtlich ihre eigenen Agenden, die sie dazu antreiben.

 


Auf die Gründe, weswegen ständig versucht wird, bei den kroatischen Bürgern Gefühle der Scham und Schuld auszulösen, wollen wir nicht näher eingehen - dies würde nämlich eine viel tiefere Analyse in Anspruch nehmen. An dieser Stelle wollen wir nur darauf aufmerksam machen, dass sogenanntes „Shaming“, dem sich einige Intellektuelle, Medien und Politiker bedienen, um eine Sache oder ein Ereignis ins schlechte Licht zu rücken, eine altbekannte Methode ist, um politische Macht an sich zu reißen.

 

In diesem Text werden wir uns ausschließlich mit den Hauptkritikpunkten befassen, die wir ständig bezüglich des Thompson-Konzerts hören und lesen.

 


Dem Sänger Marko Perković Thompson und seinen Fans wird vorgeworfen, sich der Parole „Za dom-spremni“, zu Deutsch „Für die Heimat bereit“, zu bedienen. (Was auch immer behauptet wird, ist diese Parole keineswegs mit dem Hitlergruß 'Sieg Heil' vergleichbar; viel mehr mit der ähnlichen Parole "Slava Ukraini").

Für den umstrittenen Ausruf „Za dom-spremni“ hat der kroatische oberste Gerichtshof für Ordnungswidrigkeiten zudem einen Freispruch aufgrund spezifischer Umstände bestätigt. In Thompsons Fall hat das Gericht entschieden, dass dieser Ausruf „Teil seines künstlerisch-musikalischen Schaffens“ sei.

 

 

Doch selbst, wenn das nicht der Fall wäre, liegt es auf der Hand, dass diejenigen, die sich an der Verwendung dieser Parole stören, eigentlich etwas umfassenderes, mit was sie diese Parole direkt in Verbindung bringen, stört: Sie stört die Gründung des unabhängigen kroatischen Staates im kroatischen Vaterlandskrieg. So erwecken viele Kommentatoren den Eindruck, dass der Krieg in Kroatien in ihrem Verständnis direkt mit der zumindest teilweisen Wiederherstellung des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH) in Verbindung steht. Ungeachtet dessen und allgemein gesprochen sollte an dieser Stelle betont werden, dass generell bei Rockkonzerten allerlei Ausrufe und Geschrei gehört wird und dass Gesellschaften, die sich als demokratisch verstehen, solche Konzerte für Orte höchster verbaler und gestischer Freiheit halten.

 


Das zweite, viel tiefer liegende Problem in diesem Fall ist die angebliche „Faschisierung der Gesellschaft“ bzw. die „Rehabilitierung der Ustascha (Neo-Ustaštvo)“.

 

Einzelpersonen und kleine Gruppen junger Menschen, die sich in einer Weise kleiden, die an eine verhasste Periode der kroatischen Geschichte erinnert, sind sicherlich kein Kriterium für eine einseitige Verurteilung von einer halben Million Menschen, die ein Konzert von Marko Perković Thompson besuchen. (Würde man das so betrachten, dann wäre dies in etwa dasselbe, als würde man Einzelpersonen und kleine Gruppen, die alle Jahre wieder Titos Geburtstag in Kumrovec feiern, für die Kommunisierung der gesamten Gesellschaft verurteilen. In beiden Fällen handelt es sich um Phänomene, die keine wirkliche soziale Bedeutung oder reale Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.)

 

Die größte Kritik, die ausländische Medien seit dreißig Jahren regelmäßig an Kroatien erheben, ist, dass das Land von gefährlichen rechtsextremen Kräften regiert wird, die ebenfalls das Ustascha-Regime wieder einführen wollen. Auch in Kroatien selbst ist dieser Vorwurf implizit, manchmal aber auch explizit Teil des üblichen Mediendiskurses geworden. Dieser Diskurs ist von klischeehaften Begriffen, vereinfachten Erklärungen komplexer Ereignisse und einem äußerst vorhersehbaren und sturen Vokabular geprägt. Beispielsweise wird jedes öffentliche Ereignis, das auch nur im Entferntesten mit Patriotismus zu tun hat, in vielen Medien ohne weitere Definition oder Spezifizierung mit dem türkischstämmigen Wort „Dernek“, welches in Kroatien eine abwertende Bedeutung hat, bezeichnet.

 


Dementsprechend wird der kroatische Vaterlandskrieg sowohl in der hochintellektuellen ausländischen Presse als auch in bestimmten kroatischen Medien oft überhaupt nicht als Befreiungskrieg betrachtet. So wird Kroatien beispielsweise in der bekannten historischen Abhandlung „Homelands/A Personal History of Europe“ des britischen Historikers Timothy Garton Ash, die auch in deutscher und kroatischer Sprache erhältlich ist, als ein Land dargestellt, das unter der Führung des „nationalistischen Führers Franjo Tuđman“ ethnische Säuberungen an den Serben in der Krajia verübte, während gleichzeitig der aktuelle ukrainische Befreiungskrieg auf jede erdenkliche Weise glorifiziert und legitimiert wird, selbst unter der Ausklammerung von Fakten, wie beispielsweise der Betonung explizit nationalsozialistischer Züge durch viele ukrainische Soldaten im Rahmen einer legitimen „Befreiungsbegeisterung“. Es scheint, dass in den Augen eines großen Teils der europäischen und kroatischen Öffentlichkeit einige Länder ein unbestreitbares Recht auf Staatlichkeit und Souveränität haben, während anderen dieses Recht aus irgendeinem Grund verwehrt wird. Kroatien ist offenbar das deutlichste Beispiel für Letzteres. Die Gründe dafür sind wiederum zu komplex, um sie hier auch nur anzudeuten.

 


In Bezug auf die Repräsentation Kroatiens hierzulande ist es tatsächlich so, dass diese oft Experten – und selbsternannten Experten - anvertraut wird, die sich in erster Linie damit beschäftigen, die ihrer Meinung nach bestehenden Gefahren und Missstände im eigenen Land zu kritisieren. Diese Kritik ist manchmal schlüssig und berechtigt; viel häufiger jedoch ist sie zu offensichtlich ideologisch gefärbt („Neojugoslawismus“), um mehr als öffentliche Verunglimpfung und unkritische Verleumdung zu sein. Es ist daher erwähnenswert, dass eine wachsende Zahl kroatischer Bürger in Kroatien die Förderung einer solchen Ideologie als irritierend und sogar gefährlich empfindet und dass viele, die Thompsons Konzert besuchten, dies nicht taten, weil sie die Musik lieben - oder unter morbider Nostalgie leiden -, sondern aus Protest gegen die zunehmend stärkere Durchsetzung einer bestimmten kulturellen und politischen Identität, getarnt in eine internationalistische und progressive Kritik nationalistischer Identitätspolitik.

 

 

Letzen Endes stellt sich die Frage: Neigen Kroaten als solche bzw. als politische und soziale Gemeinschaft „kulturell“ zu Rückständigkeit und wildem Nationalismus? Viele sind anscheinend dieser Ansicht, können die gestellte Frage aber nicht beantworten. Manche sind der Meinung, dass das Bildungssystem hierzulande dafür verantwortlich ist und dass es den Kroaten generell an Bildung fehlt. Allerdings unterscheidet sich das Bildungssystem hier nicht wesentlich von denen in anderen EU-Ländern. Gibt es vor diesem Hintergrund vielleicht einen tieferen Grund für Thompsons Popularität und seinen Übergang in den Mainstream, der aus irgendeinem Grund unterdrückt wird, damit aus diesem schönen Land, das trotz seiner blutigen Geschichte seine Seele bewahrt hat, nichts Positives kommen darf?


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