Halloween-Kürbisse
Foto: Dana Jungbluth / HRT
"Mama, ich glaube, Du bist heut Morgen etwas schwindelig im Kopf." - so mein Jüngster in der Früh, als wir uns am Halloween-, Verzeihung, am Reformationstag, also am 31.10. eben, zum Kindergarten aufmachen wollten und ich suchend nach dem Schlüssel, den ich in der Hand hielt und das Fahrrad vergessend, obwohl der Knirps seinen Helm aufhatte, sichtlich neben mir stand. Sie müssen wissen, es war auch echt früh. Wie alles bis zwölf Uhr mittags. Ich bin eben ein Nachtmensch, schlafe aber gefühlt nie. Und so überkommt mich von Zeit zu Zeit eine kleine, aber liebenswerte, Schusseligkeit. Zum Glück scheine ich damit jedoch nicht allein zu sein, wie wir auf dem weiteren Weg noch feststellen durften.
Eine heranwachsende junge Frau überquerte bei Rot die Straße, was meinen pfiffigen jungen Mann dazu veranlasste, empört zu verlautbaren, dass man das so aber nicht macht. Aufgebracht sprach er auch nach unsererseits ordnungsgemäßem Übergang von der einen zur anderen Straßenseite weiter von der potenziellen Gefahrensituation, derer er soeben Zeuge wurde. "Die anderen beiden haben es richtig gemacht. Die haben auch richtige Gehirne. Die andere hat wohl ein schwindeliges Gehirn.", so mein kleiner Besserwisser weiter, der anscheinend schon vergessen hatte, dass er auch mich kurz zuvor noch als "schwindelig" bezeichnete. Aber Recht hat er ja. Wir Erwachsenen sind doch in vielen Dingen oftmals sehr schwindelig unterwegs, wohingegen die Kinder eine ganz pragmatische, klare Sicht hegen. Eine Scheibe abschneiden könnten wir uns davon.
So zum Beispiel, wenn es um unsere "heiligen" Traditionen geht. Da scheinen wir in jeder Hinsicht von Schwindel befallen zu sein. Ich bewundere die Kroaten, wie sie ihre religiösen und geschichtlichen Traditionen vehement aufrechterhalten und zu verteidigen versuchen. Ein Stück weit beneide ich sie sogar darum, ist in Deutschland unser Traditionsbewusstsein fast gänzlich abhandengekommen. Aus vielen verschiedenen Gründen, deren Auflistung müßig wäre. Grundsätzlich kann ich es daher extrem gut nachvollziehen, wenn man plötzlich seine eigenen Bräuche gefährdet sieht. Sie verbinden verschiedene Generationen, Geschlechter, Klassen, Vorlieben und sonstige Hintergründe - kurzum: Sie festigen eine Gesellschaft und schaffen trotz der Unterschiede eine gemeinsame Identität. Und dieser eklatante Unterschied zwischen Deutschland und Kroatien ist beiderorts zu spüren und zu sehen. Doch solange traditionelle Festivitäten gerne und ehrlich, also voller Überzeugung, zelebriert und gewahrt werden, sollte eigentlich kein Grund zur Sorge bestehen.
Und dennoch fährt katholischer- und auch protestantischerseits alljährlich ein riesen Aufschrei durch alle Kanäle, wenn das inzwischen global umherschwappende Halloween-Fest auch in dem ach so christlichen Europa - wo es ja übrigens, wenn auch aus vorchristlicher Zeit stammend, herkommt - sehr zur Freude unserer wenigstens hierzulande multikulturellen und verlorenen Jugend begangen wird. Warum, frage ich mich da jedes Jahr aufs Neue, warum regt das einige Menschen denn so furchtbar auf? Stehen am Abend stattfindende Halloween-Partys für Jugendliche oder an den Türen klingelnde verkleidete Kinder ernsthaft dem angeblichen Zelebrieren des Reformationstages im Wege? Beeinträchtigen selbige Aktionen etwa den einen Tag später geplanten Gang zum Friedhof? Oder sind es die Gruselmasken, Gummispinnen und andere gespenstische Waren, die bereits einige Wochen zuvor in den Geschäften feilgeboten werden und den Empörten provokant entgegengrinsen? Und darauf entsteht dann eine trotzige Jetzt-erst-recht-Reaktion, mutet es stellenweise an.
Für jemanden, der seit mehr als zehn Jahren in einem Umfeld lebt, in dem inzwischen der Deutschunterricht an Gymnasien mitunter aus der Behebung sprachlicher Defizite besteht, in dem Koranschüler diverser Erdogan-Moscheen die Schulpausen-Fußballteams in Christen und Muslime einteilen und sich häufig just mit Beschneidungsfest hochaggressiv zeigen, in dem sich zeitgleich vor diesen sichtlich kulturellen Diskrepanzen einknickende Mütter stark dafür machen, dass eine Schulklasse nicht die von den Schülern präferierte "Deutschland-Laterne" für St. Martin bastelt, in dem aber ebenso Muslime Christen zum heimischen Osterfest einladen und ihnen stets als Erste zu Weihnachten gratulieren, um ihren Respekt unserer "ach so christlichen" Kultur zu erweisen, in einem Umfeld, in einem solch multikulturellen Umfeld, in dem muslimische Kinder sich so sehr einen Weihnachtsbaum wünschen, diesen aber unter abfälligen Bemerkungen verwehrt bekommen, wo jedoch auch manche von ihnen mit diesem besonderen kindlich-weihnachtlichen Augenglanz von ihrem kleinen Weihnachtsfest zuhause erzählen oder Christen zum Zuckerfest liebevoll mit Süßigkeiten bedenken, ein Umfeld, in dem aber selbst Kinder feststellen, dass es "immer dieselben" sind, die sich nicht als Deutsche identifizieren, gleichwohl sie hier aufgewachsen sind und die Heimatländer der Eltern oder gar Großeltern lediglich aus Urlauben kennen... in diesem Umfeld also ist Halloween eine so wunderbare, erleichternde und freudige Abwechslung und Wohltat, dass man all dem Schwindel bezüglich angeblicher Festefeierei und all den sich bedroht fühlenden Schwindeligen ob ihrer jeweils "besten heiligen Feste" die hässliche Clownsfratze gar nicht oft genug unter die Nase halten könnte.
Ganz unabhängig der elterlichen Kultur, des Glaubens oder der Herkunft, freuen sich die Kinder allesamt gleichermaßen und gemeinsam an Halloween auf das Verkleiden, das Gruseln und das Sammeln von Süßigkeiten an den mehr oder weniger geschmückten Häusern in der nachbarschaftlichen Dunkelheit. Strahlende Gesichter, tatsächlich ähnlich dem Kinderaugenweihnachtszauber, die zusammen die starren Geister dieser Zeit vertreiben. Passender könnte das Fest aus meiner Sicht gar nicht fallen. Feiern Sie derweil doch einfach unbehelligt Ihren Reformationstag oder gedenken Sie aller Heiligen, aller Seelen und einfach, wem Sie möchten, wann Sie es möchten. Und die Kinder ziehen zwischendrin das Lustige und Lebhafte - verständlicherweise - vor. So what?
Das nimmt keinem etwas, gibt unseren Kindern dafür aber - wenigstens für einen Augenblick - eine so dringende gemeinsame Identität.
"Jeder Jeck is' anders" - schön also, wenn man dennoch zusammenfindet. Der Rheinländer ist übrigens feiermäßig nicht nur multikulti-, sondern auch multitaskingfähig unterwegs. So wünscht man sich hier am 11.11. um 11:11 Uhr mit einem "Alaaf" einen guten Start in die 5. Jahreszeit, lässt aber ebenso nicht das Gedenken an St. Martin außer Acht. "Mer bruche halt keiner, keiner dä uns säht, wie mer Fastelovend fiere deit." Wir machen es einfach. Machen Sie das doch auch. Schaffen die Kölner sogar beim schallenden Gott-ist-groß-Ruf an Karfreitag, über den es sich in der Tat zu streiten lohnte. Aber vielleicht erledigt sich das beizeiten auch durch allseits rebellische Kinder mit neuen, alten und vielleicht auch gemischten Traditionen ganz von selbst. Lassen wir die Kirche also doch mal im Dorf - und den Muezzin im Orient. Oder so ähnlich. Ich stelle mich derweil ob meiner Zeilen auf erboste Christen und Muslime ein, während die Zeugen Jehovas aufdringlich an meiner Türe Einlass begehren. Komisch, die jüdischen oder buddhistischen Mitmenschen vernehme ich nie. Dabei bin ich überzeugt davon, auch in deren Reihen greifen ab und an diverse Schwindelattacken um sich. Während mein Kleiner solche unbefangen, aber verständnislos kommentiert, tätschelt mein Großer diese lässig, von einer gewissen Süffisanz getragen, verbal mit einem "Chill Deine Base, Digger!". Immerhin weiß er es auch zu schreiben, Hopfen und Malz also doch noch nicht gänzlich verloren. Inshall... ähm, Gott sei... ach, ein Glück auf seinen schwindelfreien Verstand!
Vijesti HRT-a pratite na svojim pametnim telefonima i tabletima putem aplikacija za iOS i Android. Pratite nas i na društvenim mrežama Facebook, Twitter, Instagram i YouTube!